Geschichte

Vereinsgründung 1995

Als in den frühen 1990iger Jahren die Landeshauptstadt-Werdung konkrete Formen annahm, lag noch ein unerträglich gesundheitsschädigender Schwefelgeruch über der Stadt. Zahlreiche Gutachten belegten die Überschreitung der allgemeinen Grenzwerte mit der fast zehnfach erhöhten Belastung. Für viele BewohnerInnen – vor allem im Norden der Stadt wohnhaft– war diese durch die Glanzstofffabrik verursachte Luftverpestung eine inakzeptable Einschränkung der Lebensqualität und verhinderte eine prosperierende Entwicklung des Stadtteils.

Als ein großindustrieller Investor im Herbst 1994 die Fabrik zum Symbolpreis von einem Schilling übernahm, wurde bekannt, dass auf dem Firmenareal – mitten im dicht verbauten Stadtgebiet – eine Müllverbrennungsanlage für Industriemüll errichtet werden sollte. Die Empörung der AnrainerInnen über diese geplante Umwidmung war groß, da auch die politischen Parteien im Land und teilweise der Stadt dieses Vorhaben mit Nachdruck unterstützten und insbesondere maßgebliche Politiker von ÖVP und FPÖ das geplante Projekt lautstark propagierten.

Im Januar 1995 trafen sich rund 20 engagierte Sankt Pöltner-BürgerInnen und beschlossen gegen die Errichtung einer Müllverbrennungsanlage im zentralen Stadtgebiet anzukämpfen. Das langfristige Ziel war es dabei, nicht nur den Bau der Müllverbrennungsanlage zu verhindern, sondern durch die regelmäßige Forderung nach Filtereinbauten in der Glanzstoff AG auch die Lebensqualität nachhaltig zu verbessern. Die neu gegründete Bürgerinitiative „Plattform Pro Sankt Pölten“ wurde im selben Jahr noch aus der Taufe gehoben und in der ersten konstituierenden Generalversammlung der HTL Professor Ing. Mag. Günter Bannholzer zum „Langzeit“-Obmann gewählt.

Ziel und Zweck der überparteilichen Vereinigung war und ist – „die qualitative Verbesserung unseres Lebensraums und die Schaffung eines Bewusstseins für komplexe Zusammenhänge in der Bevölkerung“ im Stadtgebiet Sankt Pöltens sowie dessen angrenzender Umgebung voranzutreiben. Was die Bürgerbewegung von vielen anderen Initiativen in der Stadt schon seit ihrem Beginn unterscheidet, ist die Tatsache, dass sie sich von keiner politischen Partei vereinnahmen oder finanzieren lässt, sondern ihre partei- politische und finanzielle Unabhängigkeit ausschließlich über Mitgliedsbeiträge und Spenden von FörderInnen absichert.

page1image3357931056

Die ersten Jahre: Müllofen – Nein danke!

Mit diesem Slogan wurde über 4 Jahre lang von vielen im Verein ehrenamtlich Tätigen eine aktionistische Kampagne gegen die Entwicklung der Müllverbrennungsanlage (MVA) gefahren. Mit einer mehrmonatigen Sammlung von Einsprüchen (Unterschriften) gegen den Müllofen im ersten Halbjahr 1999, begleitenden Informationsveranstaltungen, Postwurf- Sendungen und mit Unterstützung der Printmedien (insbesondere der Tageszeitung Kurier) konnte die Sankt Pöltner Bevölkerung soweit sensibilisiert werden, dass auch bei den politischen Befürwortern des Landes sowie der Stadt – mit denen zahlreiche Gespräche geführt wurden – ein Umdenken einsetzte.

Das Finale entbehrte nicht einer gewissen Feierlichkeit, wie der Kurier in seiner Ausgabe am 1. Juli 1999 berichtete. Die monatelange, intensive Arbeit der Bürgerinitiative wurde mit einem überwältigenden Ergebnis belohnt: 8.400 gesammelte Unterschriften gegen die geplante Müllverbrennungsanlage der Glanzstoff AG konnten bei der Genehmigungs- behörde des Landes (Umweltabteilung) am 30. Juni 1999 an den zuständigen Landesjuristen öffentlichkeitswirksam vom Sprecher der Bürgerplattform DI Hans Fellnhofer überreicht werden. Angesichts dieses massiven Gegenwinds der Stadtbevölkerung wurde letztendlich das Projekt der MVA durch den Glanzstoff-Konzern zurückgezogen. Die Bürgerinitiative war damit ihrem Ziel, die Luft- und Lebensqualität Sankt Pöltens nachhaltig zu schützen, einen Riesenschritt nähergekommen.

Die folgenden Jahre: Der Glanzstoff-Gestank muss weg!

„Glanzstoff in Flammen“ – so titulierten die Niederösterreichischen Nachrichten ihren Bericht in der Ausgabe KW 3 / 2008. In der Nacht vom 10. Jänner 2008 kämpften 360 Feuerwehrleute stundenlang gegen das Flammeninferno am Glanzstoff-Werksgelände. Die komplette Abluftanlage wurde bei dem Brand zerstört und die Produktion auf unbestimmte Zeit gestoppt.

Die Bürgerplattform forderte die zuständigen Behörden auf, eine Fortführung des Betriebs nur dann zu erlauben, wenn alle gesetzlichen Auflagen – insbesondere die Abluftreinigung– seitens der Glanzstoff erfüllt würden und keinesfalls früher eine Wiederaufnahme der Produktion zu genehmigen. „Eine optimale Sicherheit und eine gute Luftqualität für die Bewohner der Stadt müsse absoluter Vorrang eingeräumt werden“ so die Forderung des Plattform-Sprechers Ing. Mag. Günter Bannholzer.

page2image3359026848page2image3359027120

Noch im Jänner 2008 wurde damit begonnen, auf den öffentlichen Plätzen der Innenstadt und in Postwurfsendungen an die Sankt Pöltner Haushalte für die Forderungen der Bürgerplattform in der Bevölkerung zu werben und Unterstützungserklärungen der Bürgerinnen und Bürger für ein lebenswertes Sankt Pölten zu sammeln. Rund 2.400 eingeholte Vollmachten bzw. Bürgschaftserklärungen von betroffenen Bürgerinnen und Bürgern sowie Anrainern reichten letztendlich aus. Die Plattform Pro Sankt Pölten erlangte im gewerbebehördlichen Verfahren zur Wiederinbetriebnahme der Betriebsanlage der Glanzstofffabrik nach dem Brandereignis Parteien-Stellung.

In einer 25-seitigen Berufungsschrift der durch RA Dr. Stefan Gloss vertretenen Plattform wurde der Bescheid der Behörde 1. Instanz zur Wiederinbetriebnahme der Produktionsanlagen angefochten. Weiters beantragt wurde die Rückverweisung der Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die Behörde 1. Instanz und eine mündliche Berufungsverhandlung unter Einbezug aller betroffenen BürgerInnen. Zu einer neuerlichen Berufungsverhandlung kam es jedoch nicht, da der Glanzstoff Konzern die geforderten Auflagen nicht erfüllen konnte bzw. wollte und die Produktion am Standort Sankt Pölten endgültig einstellte.

Neustart 2018

Im Jänner 2018 wählte die Plattform Pro Sankt Pölten Mag. Stefan Lenk einen neuen Obmann. Weiters wurde der Name der Bürgerinitiative in Bürgerplattform Pro Sankt Pölten leicht abgeändert. Die auf der Homepage ersichtlichen Ziele der Bürgerbewegung richten sich allerdings weiterhin auf die qualitative Verbesserung des öffentlichen Raums in der Stadt Sankt Pölten und seiner unmittelbaren Umgebung: Die Gestaltung unseres Lebensraums, d.h. der Naherholungsflächen und Parks, Fuß- und Radwegnetze, städtische Infrastruktur, Stadtleben und Kultur sowie Denkmalschutz und Stadtbildgestaltung sind dabei die alten wie auch neuen Herausforderungen im 21. Jahrhundert.

Am 12. Dezember 2019 übernahm Mag. Ulrike Zöchling die "Obfrauschaft" der Bürgerplattform Pro St. Pölten. Die Apothekerin ist eine Expertin für Gesundheit und engagiert sich stark für Erhalt un dPflege innerstädtischer Grünräume mit Altbaumbestand. Zöchling hat der Bürgerplattform neue Strukturen verpasst, was professionelleres Arbeiten ermöglicht. Dies ist gerade im Jahre 2020 von notwendig, da sich Stadt- und Landespolitik anschicken, einen der letzten Grünräume mit gesunden Bäumen, nämlich den Altoona-Park, für ein Prestigeprojekt zu opfern. Dieses mit 12 bis 15 Mio Euro an Kosten - öffentliche Gelder - veranschlagte Projekt wäre an besseren Standorten umsetzbar. Mehr Info1 und hier als Aufruf an die Landeshauptfrau, den Standort zu überdenken.

Aktuelle Vereinsspitze

Im April 2023, nach den Pandemiejahren, übernahm Dipl.Ing. Susanne Formanek, als Naturwissenschafterin und Mitbegründerin der Innovationslabore GRÜNSTATTGRAU und RENOWAVE.AT im Thema klimaneutrale Stadt, Klimawandelanpassungsmaßnahmen und Sanierungen die Leitung der der Bürgerplattform Pro St. Pölten. Mit ihr zieht der Gedanke der neuen Bürgerbeteiligung "Citizen Science" ein. Die Bürger:innen werden selbst ermächtigt für eine lebenswerte Stadt aktiv zu werden und selbst Daten zu erheben, zu teilen, mit Wissenschaftler:innen zu interagieren und eingängig aufzubereiten und permanent aktualisiert zu sehen. Dadurch erkennen sie welche Konsequenzen Versiegelung, Hitze, Wassermangel und mangelnde Biodiversität haben.

Mailkontakt: buergerplattformprostp@gmail.com